Sonntag, 12. Januar 2014

Istanbul

Abgezockt und mit Geld beworfen ... das türkische Ying - Yang?


Istanbul - Drehkreuz für Handel seit Jahrtausenden. Aufgrund der strategisch wichtigen Lage auch heiß umkämpft ... bis heute. Waren die Siedler und Belagerer früher Griechen, Perser und Römer, so fallen heutzutage Deutsche, Russen und Briten über die Stadt her. Geändert hat sich sich lediglich die Art der Kriegsführung. Während man vor ca. 1500 Jahren auf eine Belagerungszeit von 10 bis 30 Tagen schwor, halten die modernen Belagerer fast das gesamte Jahr die Stellung. Sie bedienen sich dabei einer perfiden aber ausgeklügelten Austauschtaktik. Die jeweiligen Vasallen der Belagerungswelle werden nach 10 bis 14 Tagen durch neue getauscht und mittels einer modernen Kriegswaffe - der Charterflieger - preiswert und zivil getarnt eingeschleust. Geködert werden die vielen Freiwilligen - auch das ist eine sensationelle Neuerung zur Geschichte - mit der den Plünderungen ähnlichen Schnäppchenjagd. Selbstverständlich waren meine Motive nach Istanbul zu fliegen reiner Natur! Ich folgte einer Hochzeitseinladung und befand mich in Gesellschaft der Mutter und der Großmutter der Braut. Um unsere lauteren Absichten zu unterstreichen, buchten wir einen am Flughafen gebotenen Shuttelservice und wurden für 50 Euro zum Hotel gefahren, was schon mal klar kein Schnäppchen war. Verwirrend war allerdings die Absage des Fahrers, den wir vertrauensvoll für unsere Anreise zur Hochzeit am übernächsten Tag auf die asiatische Seite Istanbuls chartern wollten. Er erklärte kurzerhand, das wäre ihm zu weit. Die wirtschaftliche Kalkulation hinter dieser Erklärung war zunächst nicht nachzuvollziehen.

Während der Fahrt zu unserem Hotel drängte sich das nur aus dem Augenwinkel wahrgenommene Bild von hunderten Klamottenläden in mein Bewusstsein. Das Hotel lag wie eine Insel mitten darin. Trotz eisernen Vorsatzes, nicht zu den Plünderern gehören zu wollen, fehlte mir doch noch dies und das für mein Hochzeits-Outfit. Also zog ich mit den Freundinnen im Schlepptau los, die Marktsituation in unserem Viertel zu erkunden, selbstverständlich widerwillig! Aber ach, die Bewohner der Stadt waren auf die Eindringlinge bestens vorbereitet. Sie boten die Ware schon mit in den Scheiben und Wänden geprägten fremdländischen Lettern feil. Russische Inschriften konnten mich nicht schrecken. Mit meinen rudimentären Russischkenntnissen konnte ich der Vorherrschaft der zweitgrößten Belagerergruppe Istanbuls in meinem Viertel noch ein paar Meter streitig machen. Als mir dann aber jede der angesprochenen Verkäuferinnen erläuterte, ich könne nur kaufen, wenn ich ein Teil in mindestens vier verschiedenen Größen erwerben würde, war ich geschlagen. So ein Mist! Verkauf nur an Händler.


Also wichen wir auf Bildung aus, zahlten 20 Euro in einem Taxi um nach gefühlten 45 Minuten am Topkapi-Palast ausgesetzt zu werden. Die Schlange an der Kasse für Eintrittskarten zog sich in riesigen Mäandern über den Park fast bis zur blauen Moschee. Die wiederum war gerade für Besichtigungen geschlossen - es wurde gebetet. Während wir für eine Sekunde hilflos vor den Menschenmassen hielten, bekamen wir von mitfühlenden Türken - selbstverständlich in deutsch - Zuspruch. Und ganz nebenbei schoben sie uns Werbeflyer für Bootstouren auf dem Bosporus mit dem auf den Karten schriftlich fixierten Versprechen zu, nur für uns 5 - 10 Euro Rabatt zu gewähren. Wir waren dankbar, dass man in uns offenkundig Individual-Reisende erkannte und uns daher mit so viel Entgegenkommen bedachte und verzogen uns in sichere Entfernung zu den Touristenhorden auf die Dächer der Stadt.

ueber-der-Stadt-1

Tatsächlich befindet sich auf bestimmt jedem zweiten Haus in Istanbul ein Dachgarten, Dachterrasse oder wenigstens riesiger Balkon mit Blick auf das Wasser und/oder eine Sehenswürdigkeit.

ueber-der-Stadt

Die Restaurants in den Nachbargassen zum Topkapi und der Blauen Moschee haben alle Dachterrasse und die Auswahl fiel schwer. Wir landeten in einem entzückenden kleinen Restaurant, dass uns lediglich 80 Euro für den kredenzten Fisch berechnete. Ob der grandiosen Aussicht, die uns irgend wie in eine wunderbare Trance versetzte, zahlten wir ohne zu zögern alles was sonst noch so berechnet wurde.

Die für den nächsten Tag aufgeschwatzte Bootsfahrt brachte uns wieder zum Topkapi. Dort sollten wir abgeholt werden. Also machten wir uns auf den Weg. Unsere Anfrage an der Hotelrezeption bezüglich eines Taxis wurde wie am Tag zuvor mit Unverständnis honoriert. Wir sollten doch besser Straßenbahn fahren. Also fingen wir uns ein Taxi auf der Straße, benötigten erneut ca. 45 Minuten und wunderten uns, wieso das Hotelpersonal uns immer wieder in die Tram verfrachten wollte. Wer weiß, wie lange wir dafür benötigen würden, samt Ticketkauf und allem Drum und Dran.... Bis zum vereinbarten Abholzeitpunkt flüchteten wir in ein nahe gelegenes Cafè und fanden uns bei Abholung doch in einer Touristengruppe, deren Anführer mit Schirm voraus weitere Horden einsammelte. Wie die Ratten folgten wir dem Herrn, der statt Flöte mit einem Schirm bewaffnet war, zum Anleger und wurden auf dem Boot bereits mit Techno-Sounds in Empfang genommen. Mit einem Bier bewaffnet - Gott sei Dank gab es Alkohol an Bord, der mein sensibles Gleichgewichtsorgan beschäftigte und mich so vor Seekrankheit und Mordlust wegen der Musik rettete - genossen wir die großartige Szenerie.


Jagdbeginn


Angeln

Na gut, soweit man sie überhaupt sehen konnte. Wenn unser Kapitän nicht wieder in wilder Jagd andere Ausflugsschiffe überholte, die dann die Sicht versperrten. Meist hat er die Rennen gewonnen, so dass wir dann doch wieder einen Blick auf die Ufer ergattern konnten.

Aksaray


Prinzessin

Im Anschluss erklommen wir dann wieder unsere Dachterrasse und aßen an diesem Abend mal keinen teuren Fisch.

Abendstimmung1


Die-Blaue

Für die Rückfahrt versicherten wir uns, dass diese nur 20 Euro kosten würde. Vor dem Hotel angekommen wollte der nette Fahrer dann aber 30, weil das eben seine Taxiuhr anzeigte und als wir ihm lediglich die 20 gaben, gab es großes Geschrei. Er fuhr wieder an und wir mussten uns mit einem Sprung aus dem Wagen retten. Das Geld hatte ich ihm vorher auf den Beifahrersitz geworfen, was ihn dazu veranlasste sofort in die Eisen zu gehen und uns unter wüsten Beschimpfungen die Münzen hinterher zu werfen. Wir retteten uns ins Hotel...

Den Schock bekämpften wir später mit einem Drink. Die unzähligen Bars und Restaurants in der Fußgängerzone Richtung Taksim-Platz sind nicht gerade preiswert - aber was ist das überhaupt in Istanbul? Allerdings findet sich so manch skurriler Laden, in dem die Barkeeper selbst Tonic aus geheimnisvollen Ingredienzen anmischen.

Barbara1

Wir fanden einen netten Club mit Live-Jazz und kamen erst spät in der Nacht zurück.

Am nächsten Tag ging es auf zur Hochzeit. Wir nahmen wieder ein Taxi - nicht ohne vorher Selbstverteidigungs-Strategien zu entwickeln - sahen uns aber ganz anderen Problemen ausgesetzt. Die gesamte Brücke in den asiatischen Teil war ein einziges Verkehrschaos. Glücklicherweise rannten zwischen den hektisch von rechts nach links wechselnden Wagen - was keinen Zentimeter Streckengewinn brachte - Jungs, die Backwaren anboten. Verhungern mussten wir hier also nicht. Nach einem obligatorischen Zusammenstoß mit einem Kleintransporter - unser Fahrer erläuterte, dass man hier einfach weiter fährt, wenn kein großer Schaden entstand - erreichten wir dann doch noch die Hochzeitsgesellschaft. Der Stadtteil Beykoz ist ein sehr nobles und im Grünen gelegenes Plätzchen. Dass man hier noch in Istanbul ist und gerade dem Verkehrstod entkam, war sofort vergessen. Allerdings fror ich mir während der langen und ausufernden Braut und Bräutigam-Präsentationen und Fotosessions in meinem Kleidchen fast die Hacken an. Eine süße ältere Dame - ich konnte die Ladies ob des gemeinschaftlich getragenen schwarzen Tschadors mit bestem Willen nicht auseinander halten - wollte mir daher eben diese Tracht ans Herz legen. Ich lehnte dankbar ab und stellte mich auf die wohl folgende Erkältung ein, nur weil ich die praktischen Vorzüge des Schleiers einfach ignorant ablehnte.

Nachdem auch einige der männlichen Gäste, die sich wohl ebenfalls aufwärmen wollten, keinen Alkohol in einem Kiosk um die Ecke auftreiben konnten, musste auf dem Heimweg noch ein solcher überfallen werden. Irgend wie mussten wir ja alle wieder warm werden.

Aksaray-nachts

Nach den gemeisterten Scharmützeln der letzte Tage wurden wir übermütig. An unserem letzten Tag wollten wir den großen Basar besuchen und die Anfahrt tatsächlich mit der Tram versuchen. Die Station fand sich ca. 150 Meter entfernt von unserem Hotel. Die kleinen Bahnsteige kann man nur über ein Drehkreuz nach Kartenkauf betreten. Davor finden sich Automaten, die in englischer Sprache fast selbsterklärend zur gewünschte Karte führen (2,50 Euro) und nach 10 Minuten waren wir am Basar - unweit des Topkapi! So eine Grütze... Ablenkung von der Schlappe der letzten Taxitage fand ich erst wieder in den verwirrenden Gässchen mit versteckten Cafés im Markt und nachdem ich eine kleine Spinnerei entdeckte, in der güldene und silberne Fäden gesponnen wurden.

Markt1


Spinnerei

Alles im Lot war dann wieder nach der letzten Fahrt zum Flughafen, Das Hotelpersonal, dessen Rat ich ab jetzt als heilige Worte ehren wollte, erklärte, die Fahrt würde nicht mehr als 40 Euro kosten. Haben wollte der Taxi-Schurke 70! Während ich meine im Markt erworbenen bemalten - angeblich historischen - Kacheln durch den Zoll schmuggelte, dämmerte mir, dass nicht Istanbul belagert wird, sondern die ehemals kriegerischen Türken ihre Plünderungszüge nun praktisch vor Ort abhielten, ohne die Stadt verlassen zu müssen. Nach einer Taxifahrt hat der Fahrer seinen halben Wochenlohn und hat erst mal frei ...

Merhaba!

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